Als Geflüchtete ehrenamtlich engagiert im Kiez: Abir Oqleh

| BENN

In unregelmäßigen Abständen wollen wir weiter mit kleinen Portraits ehrenamtlich Tätige aus dem Altglienicker Kiez vorstellen und damit auch deren Arbeit im Kiez würdigen. Diesmal geht es um Abir Oqleh, deren Weg erst vor wenigen Jahren als Geflüchtete aus Syrien in unseren Ortsteil führte und die sich trotzdem rasch vor Ort einbrachte.

Auch in der Unterkunft für Geflüchtete am Quittenweg läuft vieles an Aktivitäten allein darüber, dass sich hier Menschen ehrenamtlich engagieren. Dabei sind es nicht nur diejenigen aus der Umgebung, die schon länger ihre Heimat in Altglienicke gefunden haben, sondern auch Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung selber, die sich aktiv einbringen, um den Alltag für möglichst viele angenehmer zu gestalten.

Geboren und aufgewachsen bei Damaskus


Für die 44-jährige Abir Oqleh war Berlin und Altglienicke vor einigen Jahren noch ganz weit weg und jenseits aller Vorstellungen. Fast 3.400 Kilometer entfernt ist sie in Damaskus geboren worden. Die syrische 3-Millionen-Stadt zählt zu den ältesten dauerhaft bewohnten der Welt und gilt als ein kulturelles Zentrum des Orients.
Schon Jahrtausende vor Christus gegründet fand die Stadt Damaskus bei den alten Ägyptern wie auch im 1. Buch Moses der Bibel Erwähnung. Hier ist Abir in einem südwestlich gelegenen Viertel namens Jarmuk aufgewachsen. Dass sie überhaupt dort aufgewachsen ist, dem ging schon eine weitere Flucht ihrer Familie aus Palästina nach Syrien voraus. Das Viertel Jarmuk, oder im Arabischen auch ausgeschrieben Muḫayyam al-Yarmūk, ist aus einem einfachen Flüchtlingslager hervorgegangen, das 1957 für palästinensische Flüchtlinge aus dem ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 gegründet wurde. Wie auch andere Flüchtlingslager in Syrien entwickelte sich Jarmuk über die Jahrzehnte zu einem normalen Stadtviertel mit Wohnhäusern und Geschäften. In Jarmuk lebten zeitweise bis zu 150.000 Palästinenser, aber auch mit der Zeit Syrer. Die Palästinenser galten im Land als Gäste und waren den Syrern rechtlich weitgehend gleichgestellt. Sie besaßen kein Wahlrecht, konnten aber studieren und alle Berufe ausüben, Häuser bauen und Firmen gründen. Dann wendete sich vieles. Es kam im Zuge des Arabischen Frühlings zum Aufstand gegen Syriens Präsidenten Assad und auch in Jarmuk gab es Proteste gegen ihn, die irgendwann zunehmend eskalierten. Im Frühjahr 2015 wurde Jarmuk dann auch noch von Extremisten der IS-Terrormiliz eingeschlossen und von diesen in anhaltenden Kämpfen erobert. Etwas später begann die Rückeroberung des Viertels durch die syrische Regierung, bei der nochmals unzählige Menschen starben.

Der Traum vom eigenen Haus in Trümmern


Für Abir Oqleh gestaltete sich das Leben bis zu diesem Bürgerkrieg ganz normal. Sie hatte bis zum 3. Semester Archivwissenschaft studiert, geheiratet und drei Kinder bekommen. Man arbeitete alles Mögliche, um die Familie zu ernähren und sich nebenbei etwas zur Seite zu legen.
Mit 40 war es dann geschafft, sich als Familie ein schönes Leben einzurichten. Man kaufte sich von dem Ersparten ein Haus. So wie es halt auch viele Familien hierzulande als Alterssicherung für sich und kommende Generationen machen. Für Abir war das ein wichtiges Fundament für die weitere Lebensplanung. Man sei so glücklich gewesen, sich in Syrien den Traum vom eigenen Haus erfüllt zu haben - und das als Nachkommen von Flüchtlingen, die es nie einfach hatten und sich so etwas umso härter erarbeiten mussten.
Aus diesem Traum wurde die Familie nach nur neun Monaten jäh herausgerissen, als der Bürgerkrieg Jarmuk einholte und von den eigenen vier Wänden nur noch ein Trümmerhaufen übrig blieb. Man hatte seine Unterkunft verloren. Um der Familie angesichts dieser kriegerischen Umgebung ein Überleben zu sichern, schickte man zunächst die Söhne alleine auf die Flucht, mit dem Ziel nach Europa zu gelangen, wo ein ersehntes friedliches Leben möglich erschien. Abir und ihr Mann kamen dann etwas später nach.

Weg nach Deutschland


Der Weg von Abir und ihrem Mann führte so von Jarmuk nach Deutschland. Für Abir war alles zunächst einmal sehr schwierig. Sechs Monate lang habe sie fast nur noch geweint. Nahezu alles war hier auch so anders, als man es bei sich kannte. Große Angst hatte sie zunächst vor Hunden, die es derart in ihrer Heimat so nicht gab. Fremd fühlte sie sich, weil sie als Frau ein Kopftuch trägt, anders als die Frauen hier. Mit der Zeit wandelten sich ihre Empfindungen. Sie lernte immer mehr Menschen kennen, erfuhr mehr über die deutsche Gesellschaft und sei endlich auch in vielem angekommen. Unterdessen will sie auch nicht mehr zurück. Mit 44 Jahren will sie endlich ein normales Leben ohne ständige Veränderungen ihres Umfelds führen. Nachdem sie als palästinensisches Flüchtlingskind in Syrien erlebte, wie das hart erarbeitete Einfamilienhaus in Trümmern lag, möchte sie in Deutschland gern ihr weiteres Leben einrichten.

Altglienicke als neue Heimat


Untergebracht wurde sie in Deutschland durch die zuständigen Stellen in der Unterkunft für Geflüchtete am Quittenweg. Hier im Ortsteil Altglienicke fühlt sie sich unterdessen ganz wohl. In Altglienicke hat sie alles. Es gibt viel Unterstützung für Geflüchtete. Es gibt eine Reihe von Projekten, an denen sie sich beteiligte, wie etwa auch ein Theaterstück einzustudieren und aufzuführen. Sie begreift Altglienicke immer mehr als ihren Stadtteil. Natürlich könne sie noch nicht ganz angekommen sein, so lange man noch dort in der Unterkunft am Quittenweg lebe. Sie hofft bald mit ihren Mann eine richtige Wohnung zu finden - und das gerne hier.

Ehrenamtlich aktiv


Im Café Quitte in der Unterkunft hilft Abir Oqleh allwöchentlich als Ehrenamtliche aktiv mit, aber auch darüber hinaus ist sie immer wieder dabei. So hat sie letztes Jahr für das vom Quartiersmanagement im Kosmosviertel veranstaltete Picknick im Grünzug mitgekocht. Auch im Bürgerhaus ist sie öfter dabei. Großen Spaß hat ihr das Theaterprojekt gemacht, welches in der WaMa aufgeführt wurde.
Daneben beteiligte Abir sich an Bepflanzungsaktionen im Kosmosviertel oder bei der Durchführung mehrerer Maßnahmen des BENN-Teams. Warum engagiert sich Abir ehrenamtlich? Es spielt herein, dass sie ein besseres Bild von Geflüchteten in Deutschland aufzeigen möchte. Eines von Menschen, die nicht nur ausnutzen oder profitieren möchten, hier zu leben. Sie will sich gerne hier integrieren, mit möglichst vielen Menschen in Kontakt kommen, die deutsche Sprache lernen, nicht nur nehmen wollen.

Endgültig ankommen


Wenn Abir mit ihrem Mann eine Wohnung gefunden hat, möchte sie endlich richtig ankommen. Wichtig ist ihr vor allem Arbeit zu finden. Ihr Wunsch ist dabei eine Ausbildung als Erzieherhelferin. Sie möchte gerne mit Kindern arbeiten. Sie hofft dabei, dass es kein Hindernis sei, dass sie weiterhin ein Kopftuch trage. Abir sagt, man solle sie nicht am Kopftuch bemessen und ganz normal damit umgehen. Es sei nun mal ein Teil von ihr, nichts Schlimmes. Gerne möchte sie ihren Beitrag leisten für das Land, in dem sie nun mit ihrer Familie in Frieden leben kann.

Foto: Benjamin Barthmann
Foto: Benjamin Barthmann