Es war viel Miteinander – Erinnerungen an die Geflüchteten-Unterkunft am Quittenweg

| BENN

Ruhe ist eingekehrt an der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete am Quittenweg, deren Errichtung sich bald zum fünften Male jährt. Zum Ende des letzten Jahres wurde sie endgültig leergezogen. Ein Anlass, um noch einmal zurückzuschauen.

Im Sommer 2016 musste alles recht schnell gehen. Die Unterbringungskapazitäten für Geflüchtete reichten in Berlin nicht aus. Der Berliner Senat legte mehrere Standorte quer über die Stadt verteilt fest, wo für eine Übergangszeit temporäre Wohnquartiere für Geflüchtete in Wohncontainern, sogenannte „Tempohomes“, errichtet werden sollten. Einer davon war in Altglienicke am Quittenweg, direkt neben dem Kinder- und Jugendzirkus CABUWAZI auf einer landeseigenen Fläche.

In kürzester Zeit wurden auf einer einst landwirtschaftlich genutzten Brachfläche zehn Container (acht zum Wohnen, einer mit Gemeinschaftsräumen und einer mit Personal- und Lagerräumen) aufgestellt sowie dazu gehörige Außenflächen gestaltet. Zugleich galt es die überwiegend in Einfamilienhäusern lebende Nachbarschaft durch Informationen mitzunehmen, von denen erstmal einige argwöhnisch schauten, was da nebenan entsteht. Rückblickend verlief aber das Neben- und Miteinander in all den Jahren dann doch recht geräuschlos.

Eröffnet im August 2016

Im August 2016 wurde der Standort als zunächst für 500 Menschen angedachte Notunterkunft in Trägerschaft der WORKS gGmbH eröffnet. Diese Kapazität wurde aber aus vielerlei Gründen nie ausgeschöpft. In Spitzenzeiten lebten dort maximal 280 bis 300 Menschen.
Bereits 2017 erfolgte die Umwandlung in eine Gemeinschaftsunterkunft, verbunden mit einem Trägerschaftswechsel zur LfG, die damals als Hamburger Modell in Form eines in Berlin neugeschaffenen Landesbetriebs hierherkam. Fortan konnten die Bewohnerinnen und Bewohner auch in ihren jeweiligen Containern selber kochen, nachdem sämtliche Wohneinheiten zusätzlich mit einem Herd ausgestattet wurden. Trotz der vielen Ein- und Auszüge, aber auch der unterschiedlichen Herkunft der Bewohnerschaft in all den Jahren, entstand in der Gemeinschaftsunterkunft eine lebendige und gute Nachbarschaft. Dieses äußerte sich in gemeinsamen Aktivitäten auf dem Gelände, aber auch dass viele am öffentlichen Leben im benachbarten Kosmosviertel teilnahmen, sei es über Schule, Kita oder im Kiez stattfindende Feste und sonstige Veranstaltungen. Begleitet und unterstützt wurde das ganze durch das von der Senatsverwaltung beauftragte Team des Integrationsmanagements "BENN – Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften". Dieses setzte sich zum Ziel, durch verschiedene Aktivitäten im Umfeld von großen Geflüchtetenunterkünften die Gemeinschaft im Kiez zu stärken und so den Geflüchteten die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtern.

Höhepunkte im Café Quitte

Ein Höhepunkt in der Unterkunft am Quittenweg war am 23. Februar 2018 die Eröffnung des Café Quitte als ein Gemeinschaftsraum, welcher gemeinsam mit dem BENN-Team und der Bewohnerschaft ausgebaut und gestaltet wurde. Hier fanden regelmäßig Feste, Infoveranstaltungen, Lesungen und Workshops statt. Ebenso konnte man aber auch ganz locker und individuell zusammenkommen, um das Miteinander in der Einrichtung zu pflegen. Die Gesprächsthemen der Bewohnerinnen und Bewohner waren oft ganz alltägliche. So ging es immer wieder um Fragen rund um Kita, Schule, Job und letztlich des Findens einer eigenen Wohnung. Es kreiste um individuelle Träume, Wünsche, Sorgen und Nöte, die so mancher mit dem Leben hier verbindet und wie man damit umgehen kann.

Es gibt so etliches, was in der Rückschau mit dem Café Quitte in Erinnerung bleibt und über das auch schon in den letzten Jahren ausführlich in lokalen Medien berichtet wurde. Da war zum einen die Lesung im Juni 2018 mit Amir Baitar, der selber 2015 aus Syrien nach Deutschland geflüchtet in seinem Rowohlt-Buch „Unter einem Dach“ die eigenen Erlebnisse der Flucht und Ankunft literarisch verarbeitete. Es war eine interessante Veranstaltung mit viel über dem Begegnen unterschiedlicher Kulturen und wie man zu einem Zusammenleben kommt.

Es gab Aktionswochen mit Kochen und Backen, die viel Raum für interkulturelle Begegnungen schufen, wenn etwa einen Tag afghanische und syrische Küche auf dem Programm stand, am nächsten es mit deutschen Rezepten weiterging. Gemeinsam wurde im Anschluss gegessen. Deutsche und Geflüchtete tauschten sich in lockeren Gesprächen über das auf dem Teller aus. Das Interesse an der jeweiligen Esskultur war oft groß. Damit es mit der Kommunikation gut funktionierte, standen immer wieder Personen bereit, die gegebenfalls in Arabisch und Farsi (Persisch) dolmetschten.

Man denkt zurück, als im Dezember 2018 im Café Quitte eine Weihnachtsfeier stattfand, die auch für etliche eine interreligiöse Begegnung war. Es gab in der Bewohnerschaft Interesse mehr über das kulturelle Brauchtum dazu in Deutschland zu erfahren, zumal der Ursprung des Weihnachtsfestes ja letztlich im Nahen Osten liegt. Mehrere der in der Unterkunft lebenden Kinder beteiligten sich dann auch an den Vorbereitungen dazu, hatten in den Vortagen gebastelt, dekoriert, gebacken und Lieder einstudiert, bis dann von ihnen lautstark begrüßt, ein richtiger Weihnachtsmann Einzug hielt und kleine Präsente verteilte. Kinder aus der Unterkunft sangen dann auch einige Weihnachtslieder wie „In der Weihnachtsbäckerei“ und „O du fröhliche“ in einer ihnen oft noch neuen Sprache. Abschließend folgte ein Weihnachtsfilm von Astrid Lindgren.

Erinnerungsträchtig war ebenso im Februar 2019 der Musikalische Poesieabend im Café Quitte. Khaled al-Samra, der als Palästinenser aus Syrien stammte und selbst in der Gemeinschaftsunterkunft wohnte, trug auf Arabisch selbstverfasste Gedichte vor. Musikalisch wurde al-Samra unterstützt durch Maradona Muhammad, der zu den Versen auf einer Saz, einem im orientalischen Raum verbreiteten Zupfinstrument, der jeweiligen Stimmung angepasst spielte und zwischendurch auch selbst arabische, kurdische und türkische Lieder sang. Im Anschluss konnten Bewohnerinnen und Bewohner ihrerseits Gedichte vortragen, bekannte wie auch selbstverfasste. Es entwickelte sich ein sehr schöner Abend, in dem darunter auch viele Frauen sich motiviert fühlten, ihrerseits Gedichte vorzutragen. Letztlich gab es neben zumeist arabischen auch einige schöne deutsche Gedichte, wie etwa von Goethe.

Was gab es sonst so noch alles?

Darüber hinaus gibt es noch viele andere Anekdoten, die sich mit dem Café verbinden, etwa wie Frauen spontan anfingen zu tanzen, musikalisch begleitet aus dem Handy heraus. Fröhliche wie traurige. So gab es auch, als ein Unterkunftsbewohner erfuhr, dass sein Vater verstorben sei, rund 30 Personen spontan vorbei zu einer kleinen Trauerfeier kamen, um ihm Trost zu spenden.  Es gab auch Begebenheiten, wie dass Menschen aus der Umgebung interessiert schauend am Eingang zur Gemeinschaftsunterkunft standen und aus dem Kreis der Bewohnerschaft eingeladen worden, doch hineinzukommen, so dass das Café Quitte auch in dieser Form zur Begegnung zwischen Deutschen und Geflüchteten beitrug. Es hat sich in der Rückschau außerordentlich gelohnt, diese Begegnungsstätte zu schaffen.

Neben dem Café Quitte fanden auch etliche weitere Aktivitäten in der Einrichtung statt. Erinnert sei hier an Sommerfeste und Sportturniere, regelmäßige Aktionen zur Begrünung und zum Gärtnern, aber auch einzelne Projekte wie rund um das Reparieren von Fahrrädern.

Ein Dank an alle Ehrenamtlichen und Engagierten

Herauszuheben ist, dass sich sowohl Ehrenamtliche als auch Geflüchtete dort immer wieder mit viel Leidenschaft engagierten, darunter auch mehrere aus der umliegenden Nachbarschaft in Altglienicke. Dadurch entstand ein gutes Miteinander, in der man untereinander, aber auch mit vielen Alteingesessenen in Altglienicke zusammengerückt ist. Es gab etliche Bewohnerinnen und Bewohner, die ihr Herz für den Ortsteil entwickelten. So wurde eine wertvolle Integrationsarbeit geleistet. Einen Dank an allen Helfern und die sich da engagiert haben.

Viele sind in der Zeit gut angekommen

In all den Jahren konnte man viele erleben, die ohne Deutschkenntnisse in Altglienicke ankamen und unterdessen gute Sprachkenntnisse erwarben, insbesondere Kinder und Jugendliche.
In den Jahren 2016 bis 2020 sind innerhalb der Gemeinschaftsunterkunft Kinder groß geworden und eingeschult worden. Drei Kinder haben das Gymnasium besucht. Viele Eltern haben ihren Abschluss in Deutsch mit dem Sprachzertifikat B1 und B2 erreicht. Einige, die nun umgezogen sind, haben unterdessen auch einen Job. Es gibt allerdings auch etliche, die bisher kein Glück auf dem Wohnmarkt hatten. Wir wünschen ihnen allen alles Gute. Am 16. Dezember 2020 sind nun die letzten Bewohnerinnen und Bewohnerschaft aus der Gemeinschaftsunterkunft am Quittenweg ausgezogen. Diese wurden auf verschiedene Unterkünfte in drei Berliner Bezirken verteilt. Für diese geht die Suche weiter nach einer Wohnung.  Wir wünschen allen viel Erfolg und alles Gute für die Zukunft. Die bisherige Einrichtung des Café Quitte ist jetzt im Kiezladen WaMa im Kosmosviertel und kann dort für das nachbarschaftliche Leben weiter genutzt werden.

Foto: Joachim Schmidt
Foto: Joachim Schmidt
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Foto: Joachim Schmidt
Foto: Benjamin Barthmann
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Foto: Benjamin Barthmann
Foto: Benjamin Barthmann
Foto: Joachim Schmidt
Foto: Joachim Schmidt
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Foto: Joachim Schmidt
Foto: Joachim Schmidt
Foto: Joachim Schmidt
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